Vom Winde verweht! Ferntransport von Pestiziden in der Luft wissenschaftlich belegt
Der Verdacht steht schon länger im Raum, nun hat ihn eine Studie, die das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft zusammen mit dem Umweltinstitut München in Auftrag gegeben hat, eindeutig bestätigt: Pestizide sind überall in unserer Atemluft. In der Regel als Pestizid-Cocktail mit fünf bis über 30 Pestiziden. Von den in der Luft gefundenen Pestiziden sind 30 % nicht (mehr) zugelassen. Das ergab die Untersuchung von 163 Standorten in ganz Deutschland im Zeitraum von 2014 bis 2019. Die weitreichende Implikation: Die Ko-Existenz von Bio-Anbau und konventioneller Landbewirtschaftung ist grundsätzlich gefährdet. Gibt es kein entschlossenes, zeitnahes Handeln seitens der Politik, wird Bio ohne Kontamination langfristig eine Utopie.
Wichtige Pionierarbeit
Noch nie zuvor wurde in Deutschland der Pestizidgehalt der Luft so umfassend untersucht. Das alarmierende Ergebnis: An drei Viertel aller Untersuchungsstandorte konnten die WissenschaftlerInnen des Instituts TIEM (Team Integrierte Umweltüberwachung) mindestens fünf und bis über 30 Pestizide nachweisen – sowohl in der Stadt, auf dem Land und sogar in Naturschutzgebieten. Selbst auf der Spitze des Brockens in Mitten des Nationalparks Harz fanden die WissenschaftlerInnen 12 Pestizide. „Mit der Studie wurde wichtige Pionierarbeit geleistet. Sie liefert den wissenschaftlichen Beweis dafür, dass Pestizide in allen Regionen Deutschlands und weit abseits der Ursprungs-Äcker nachweisbar sind“, kommentiert Dr. Niels Kohlschütter, Vorstand der Schweisfurth Stiftung und Mitglied im Vorstand des Bündnisses für eine enkeltaugliche Landwirtschaft.
Bio in Gefahr!
Die Ergebnisse der Studie zur Pestizid-Belastung der Luft hat weitreichende Implikationen für die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft: Die Pestizide gelangen über die Luft auch auf die Äcker von Bäuerinnen und Bauern, die nach ökologischen Prinzipien arbeiten, d.h. naturverträglich und ohne den Einsatz synthetisch-chemischer Pestizide. „Immer wieder werden biologisch bewirtschaftete Äcker durch Ackergifte kontaminiert, ganze Ernten gehen so verloren“, erklärt Boris Frank, Vorsitzender des Bündnisses für eine enkeltaugliche Landwirtschaft.
Deshalb ruft das Bündnis die Bundesregierung auf umgehend zu handeln. Konkret fordern sie ein sofortiges Verbot der Ackergifte, die sich am stärksten verbreiten, u.a. Glyphosat, sowie eine stärkere Berücksichtigung des sogenannten Ferntransports von Pestizidwirkstoffen im europäischen Pestizid-Zulassungsverfahren. „Nur so erfüllt die Politik ihre staatliche Vorsorgepflicht gegenüber den Menschen und der Natur und ermöglicht die zukünftige Existenz und den Ausbau des von ihr selbst geforderten Öko-Landbaus. Die Ko-Existenz von ökologischem Anbau und konventioneller Landbewirtschaftung ist eine legitime Forderung und muss in Deutschland dauerhaft gewährleistet werden“, erläutert Kohlschütter.
Hier geht es zur Studie „Pestizid-Belastung der Luft“.
Weitere Informationen finden Sie zudem in der Pressemitteilung des Bündnisses für eine enkeltaugliche Landwirtschaft.
Ausführliche Informationen zu Methoden, Studiendesign und dem in der Studie angewendeten Citizen Science Ansatz gibt es hier zum Nachlesen.
Citizen Science: Gemeinsam die Verbreitung von Ackergiften erforschen
„Mir ist es wichtig, durch wissenschaftliche Methoden Aufschluss über die weitreichende Belastung der Luft mit Pestiziden zu erhalten, was ich sonst nirgends erfahre.“ So begründet Marlene Hansen ihre Entscheidung, bei der Citizen Science-Studie zur Erforschung der Pestizidbelastung der Luft mitzuwirken.
Marlene, 39 Jahre alt und von Beruf Qualitäts- und Produktmanagerin, ist eine der 130 BürgerInnen, die sich bei dem Luftgüte-Monitoring zur Pestizidbelastung beteiligt – ohne deren Mitwirken die Durchführung der Studie gar nicht erst möglich wäre. Denn von April bis Herbst 2019 werden an über 125 verschiedenen Standorten Untersuchungen mit unterschiedlichen Forschungsmethoden durchgeführt. Die Herausforderung dabei: Wie kann die fachgerechte Betreuung der vielen Standorte sichergestellt werden? – Nur durch das Engagement vieler Freiwilliger wie Marlene in Verbindung mit der professionellen Begleitung von Wissenschaftlern.
Umfassendste Pestizid-Abdrift-Studie der Bundesrepublik
Eine erste Studie (10.02.2019) kam zu dem alarmierenden Ergebnis, dass sich der Verdacht einer flächendeckenden Abdrift von Ackergiften über den Luftweg erhärtet.
Jetzt gilt es, diese These weiter wissenschaftlich zu validieren. Deshalb hat das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft eine Folgestudie in Auftrag gegeben. Diese wird von der Schweisfurth Stiftung gemeinsam mit dem Umweltinstitut München und dem Forscherbüro TIEM Integrierte Umweltüberwachung GbR durchgeführt.
Um wissenschaftlich fundierte Ergebnisse zu erhalten, wird eine Reihe unterschiedlicher Methoden angewandt: Neben technischen Sammlern werden Baumrinden, Filtermatten aus Klimaanlagen und Bienenbrot auf Pestizid-Rückstände analysiert.
Insbesondere Letzteres ist ein wichtiger Indikator: Bienenbrot unterliegt weniger Einflüssen durch die Biene als Honig. Deshalb ist es besonders dazu geeignet, um mögliche Pestizidrückstände in Pollen zu analysieren. Hier finden Sie weitere Informationen zum Thema Pestizide in der Luft.
Ackergifte kennen keine Grenzen
Übrigens: Das Bündnis gegen Ackergifte ist seit Juni diesen Jahres auch in Österreich aktiv. Der Bio-Pionier Sonnentor hat dort den Verein zur Förderung einer enkeltauglichen Umwelt in Österreich gegründet.
Klimaentlastung durch Landwirtschaft? – Geht!
Der jüngste Aufruf an die Weltgemeinschaft ihr Verhalten und ihren Umgang mit der Umwelt, aber auch untereinander zu ändern stammt vom IPCC . In seinem neuen Sonderbericht über Klimawandel und Landnutzungssysteme wird deutlich, dass ein „Weiter so“ nicht zukunftsfähig ist. Ein Mahner und zugleich Impulsgeber der ersten Stunde ist auch Ernst Ulrich Weizsäcker. Anlässlich seines 80. Geburtstags wurde das Symposium „Wir sind dran: Inspirieren – Reflektieren – Handeln – Symposium für eine nachhaltige Welt“ von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft Club of Rome und dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie veranstaltet. Dabei hat Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald, Vorstandsvorsitzender der Schweisfurth Stiftung, die Notwendigkeit und das Potenzial für einen Wandel in der Landwirtschaft aufgezeigt – sein Kommentar:
Zukunftsthema Landnutzung
Ein zentrales Ergebnis des neuen Sonderberichts des IPCCs lautet: wir müssen die Art und Weise der Landnutzung ändern. Denn fast 25 Prozent der eisfreien Landfläche sind von Landdegradierung betroffen. Das heißt, die biologische Funktionalität dieser Flächen schwindet: auf Äckern wächst weniger Getreide, auf Weiden weniger Gras und die biologische Vielfalt nimmt ab. Langfristig ist dies eine Gefahr für die Ernährungssicherheit. Verantwortlich dafür ist unter anderem die industrielle Landwirtschaft mit ihren umweltbelastenden Praktiken wie beispielsweise Anbau von Monokulturen, Überweidung, intensive Verwendung von anorganischen Düngemitteln. Doch Landwirtschaft hat – wird sie naturverträglich betrieben – großes Potenzial zum Erhalt und Aufbau eines gesunden Bodens beizutragen.
Klimapositive Landwirtschaft geht!
Denn eine Landwirtschaft, die sich positiv auf das Klima auswirkt, ist möglich. Dazu braucht es sowohl Pflanzen als auch Weidetiere: Pflanzen besitzen die Fähigkeit CO2 aufzunehmen, dieses in den Boden zu transportieren, wo es dann gebunden wird. Das bestätigen auch die neuesten Forschungsergebnisse von Christine Jones zum sogenannten „Liquid Carbon Pathway“. Wichtig dabei: Der Prozess darf nicht durch Überdüngung des Bodens blockiert werden. Aber auch Weidetiere haben – entgegen der landläufigen Meinung – das Potenzial eine klimapositive Wirkung zu erzeugen. Entwickelt in Jahrmillionen langer Co-Evolution mit Weidetieren unterliegt Grasland einer besonderen Wachstumsdynamik: durch die Beweidung von Grasland wird ein Wachstumsimpuls ausgelöst, wodurch Gras zur Photosynthese und dadurch zur CO2-Aufnahme angeregt wird. Zusätzlich lässt dieser Effekt die unterirdischen Wurzeln wachsen, wodurch die Humusbildung gesteigert wird. Dadurch entsteht ein Boden, der mehr CO2 binden kann als Waldböden.
Die Devise muss jetzt lauten: Vom Wissen zum Handeln
Das macht deutlich: alle für eine tatsächlich nachhaltige und klimafreundliche Landwirtschaft erforderlichen Produktionsmethoden sind bekannt und vorhanden. Doch wie bereits Johann Wolfgang von Goethe feststellte: „Es ist nicht genug zu wissen, man muss es auch anwenden; es ist nicht genug zu wollen, man muss es auch tun.“ Wir müssen jetzt vom Wissen zum Handeln zu kommen. Nur so kann die Transformation gelingen.