Bioökonomie – Fluch oder Segen?

Hinter dem Begriff der Bioökonomie verbirgt sich die Idee der kommerziellen Nutzung des Lebens mit all seinen Facetten – von Tieren, über Pflanzen bis hin zu Mikroorganismen. Ziel ist es, einen Wandel weg von der Abhängigkeit von Erdöl, hin zu einer pflanzenbasierten, industriellen Welt zu bewerkstelligen. Doch kann Bioökonomie die neue Schnittmenge zwischen Ökologie und Ökonomie sein? Schützt sie die Natur oder (be)nutzt sie all ihre Ressourcen noch radikaler als je zuvor? Ist beides möglich? Der Bayerische Rundfunk hat im Rahmen des Sendeformats „Evangelische Perspektiven“  diese und andere Fragen rund um das „Zauberwort“ Bioökonomie mit Experten kontrovers diskutiert. „Wenn alles Leben zur Ware wird. Bioökonomie – Fluch oder Segen?“, so der Titel, der in der br-online.de Mediathek nachgehört oder nachgelesen werden kann.

Antwort auf Welthunger, Klimawandel und Ressourcenknappheit oder risikoreiche Vermarktung der Natur?

Unterstützung findet das Konzept seitens der aktuellen Bundesregierung im Rahmen des Programms „Nationale Forschungsstrategie Bioökonomie 2030“. Die Befürworter sind überzeugt, dass die Bioökonomie Antworten auf die Energiefrage, den Klimawandel und die Ressourcenknappheit, ebenso wie Welthunger und Krankheiten bieten kann – mit der Orientierung am Kreislaufprinzip und der effizienten Nutzung von Biomasse.
Kritiker bemängeln hingegen, dass der Industrie sowie der Wirtschafts- und Innovationspolitik der Containerbegriff Bioökonomie zur Vermarktung dient. Der Diskurs um umstrittene Themen – wie beispielsweise Gentechnik gepaart mit IT-Technologie oder Wachstumsphilosophie – wird umgangen, stattdessen werden die Inhalte unter dem neuen, positiv anmutenden Begriff Bioökonomie zusammengefasst. Eine kritische Betrachtung des Konzepts lässt sich in dem bei Suhrkamp erschienen Buch „Irrweg Bioökonomie“ von Franz-Theo Gottwald und Anita Krätzer nachlesen. Neben Kritik an dem Konzept werden insbesondere mögliche Alternativen thematisiert. In der Studie des Instituts für Welternährung – World Food Institute e.V. (IWE) „Mit Bioökonomie die Welt ernähren?“ nennen Franz-Theo Gottwald und Joachim Budde potentielle Risiken, die die Bioökonomie mit sich bringt, beispielsweise die Großtechnik für kapitalstarke Unternehmen, denen Mittel- und Kleinbetriebe nichts entgegensetzen können. Ein zunehmendes Landgrabbing infolge von Konkurrenz um Landflächen zeichnet sich schon heute ab.

Neu: Die Theologisch-ökologische Argumentation

Zu dem zunächst assoziierten Thema Umweltschutz, lassen sich wenige bis keine Parallelen mit der Bioökonomie entdecken. Neben Ökologen ruft dies zunehmend auch Theologen auf den Plan. Denn in der, mit der Bioökonomie einhergehenden, Entfremdung von der Natur wird laut Franz-Theo Gottwald der „Eigenwert der Natur“ bzw. ihre Würde untergraben. Der Mensch nimmt sich aus dem Eingebundensein in der Gänze der Natur heraus und wird zum eigenmächtigen „Schöpfer dieses Planeten“ – zum Guten und zum Schlechten. Der bisher zugrundeliegende normative Rahmen gilt nicht länger, wenn Pflanzen und Tiere ihren Eigenwert durch das Design des Menschen verlieren.

Bei der Sendung zu Gast im Studio waren:

  • Franz-Theo Gottwald, Theologe und Professor für Ernährungs- und Umweltethik an der Freien Universität Berlin
  • Markus Vogt, Professor für Christliche Sozialethik am Lehrstuhl für Theologie an der LMU München und Mitglied im Sachverständigenrat Bioökonomie Bayern
  • Stephan Schleissing, vom Institut „Technik, Theologie, Naturwissenschaften“ der LMU München
  • Christoph Then, Tierarzt und Biotechnologie-Kritiker
  • Anita Krätzer, Hamburger Unternehmensberaterin und Co-Autorin des Buches ‚Irrweg Bioökonomie‘
  • Pat Mooney, kanadischer Entwicklungshelfer, der für seine kritischen Analysen von wissenschaftlich-technologischen Innovationen mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde

Leben als Lego-Baukasten? Ein Wort zur Synthetischen Biologie

Forscher erschaffen künstliche DNA. Das klingt wie in einem ScienceFiction-Film, ist im Wissenschaftsalltag aber längst Realität. Die neue Spielwiese der Gentechnologie nennt sich Synthetische Biologie. Sie ermöglicht es, Gene beliebig zu manipulieren, bestehendes Leben zu „optimieren“ und neue Lebewesen zu schaffen. Genau diese schier unbegrenzten Möglichkeiten machen die Synthetische Biologie für viele so interessant.

Künstliches Leben? Längst machbar.
Das Erbgut besteht naturgemäß aus vier Basen: Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin. Paarweise verbunden bilden diese Basen die DNA-Moleküle. Mit der Synthetisierung komplett neuer Basen wird Leben erschaffen, das in der Natur überhaupt nicht vorgesehen ist. 2014 etwa meldeten kalifornische Forscher die Ausstattung eines Bakteriums mit einem zusätzlichen Basenpaar. Neben den vier üblichen DNA-Bausteinen wurde das Alphabet des Lebens einfach um zwei weitere Basen erweitert: d5SCIS and dNaM. Die Forscher sprechen von einem halbsynthetischen Lebewesen.[1] Bei der Deutschen Forschergemeinschaft DFG ist man euphorisiert über die unendlichen Möglichkeiten der Synthetischen Biologie: Biologische Systeme (Lebewesen!) sollen „nicht nur künstlich generiert bzw. nachgebaut, sondern kreativ gestaltet und mit Komponenten ausgestattet werden, die in der Natur in dieser Form bisher nicht vorkommen“[2].

Weitreichende Anwendungsmöglichkeiten
Synthetische Biologie ist eine relativ junge Wissenschaft. Angesiedelt zwischen Ingenieurstechnik, Chemie und Biotechnologie, erstrecken sich ihre möglichen Anwendungsgebiete von der Medizin und Diagnostik über die Energiegewinnung bis hin zur chemischen Produktion. Auch in Landwirtschaft und Tierhaltung bieten sich Anwendungsfelder. Auf die Spitze getrieben: Das „genoptimierte“ blinde, federlose Huhn wäre die Lösung für das unschöne tierschutzrelevante Problem des Federpickens. Dass die Ursachen für diese Verhaltensstörung eben gerade in der Zucht und in den unzureichenden Haltungsbedingungen liegt – wen kümmert es? Es wäre nicht das erste maßgeschneiderte Tier – längst können Labore Mäuse und andere Nager bestellen, die nach Kundenwunsch gewissermaßen genetisch „designt“ werden.

Was darf der Fortschritt?
Wie keine andere Technologie wirft die Synthetische Biologie die Frage auf, ob und wie weit der Mensch als Schöpfer in die Natur eingreifen darf. Wer sich in dieser Diskussion kritisch äußert, wird gern als fortschrittsfeindlich abgekanzelt. Was dabei vergessen wird: Fortschritt ist sinnvoll und gut, wenn er Sinnvolles und Gutes hervorbringt. Und – das ist der wesentliche Aspekt bei allen biotechnologischen Anwendungen – wenn seine Folgen kontrollierbar sind. Das bedeutet auch, dass sie sich der politischen Willensbildung unterwerfen.

Es bleibt: Das Risiko
Im Fall der Synthetischen Biologie gibt es trotz weitreichender Forschungs- und Anwendungsmöglichkeiten keine angemessenen gesetzlichen Regelungen. Dabei sind die Folgen dieser Technologie unabsehbar. Wie verhält sich etwa künstliche DNA im Organismus? Was passiert im Zusammenspiel mit anderen Lebewesen? Wie beeinflusst künstlich erzeugtes Leben die Umwelt? Fragen, die bisher niemand beantworten kann.

Eine Technik mit hohem Missbrauchspotenzial
Besonders brisant: Die Methoden der Synthetischen Biologie sind inzwischen theoretisch jedem zugänglich. Das notwendige Werkzeug kann man problemlos im Internet bestellen. Weil so jeder zum Hobby-Bioingenieur werden kann, birgt die Synthetische Biologie ein riesiges Missbrauchspotenzial. Hier entstehen neuartige Risiken, die weder angemessen beforscht noch seitens der zuständigen Stellen gebührend berücksichtig werden. Das ist tragisch – denn die Konsequenzen werden alle Menschen tragen müssen. Auch die Zivilgesellschaft, die nicht gefragt wurde, ob sie solch weitreichende Technologien überhaupt möchte.

 

Zum Weiterlesen:
Die kritische Analyse von Dr. Christoph Then (TestBiotech e.V.) und Sylvia Hamberger: Synthetische Biologie und künstliches Leben Teil 1 & Teil 2.
Das Dossier „Mit Bioökonomie die Welt ernähren?“ von Franz-Theo Gottwald und Joachim Budde.

Quellen
[1] Malyshev, Denis A.; Dhami, Kirandeep; Lavergne, Thomas; Chen, Tingjian; Dai, Nan; Foster, Jeremy M.; Corrêa, Ivan R.; Romesberg, Floyd E. (2014): A semi-synthetic organism with an expanded genetic alphabet. In: Nature DOI: 10.1038/nature13314
[2] http://dfg.de/dfg_magazin/forschungspolitik_standpunkte_perspektiven/synthetische_biologie/index.html, aufgerufen am 9.12.2015