Verdacht auf flächendeckende Abdrift von Ackergiften erhärtet
Alarmierende Ergebnisse: Neue Studie zeigt, dass die Ko-Existenz von biologischen und konventionellen Anbauverfahren gefährdet ist und offenbart damit, dass die Politik die staatliche Schutzverpflichtung gegenüber dem Öko-Landbau nicht einhält. Die ausführlichen Ergebnisse und weitreichenden Implikationen der Studie wurden auf der Biofach 2019 vom Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft, das von der Schweisfurth Stiftung als Bündnispartner aktiv unterstützt wird, vorgestellt. Es ist die bisher größte Studie über die Luftverfrachtung von Ackergiften in Deutschland.
Rückstandfreies Bio – eine Utopie?
Hintergrund und Auslöser der Studie war die sogenannte „Urinale“, durchgeführt von der Bürgerinitiative Landwende von Oktober 2015 bis Januar 2016. Insgesamt 2011 Bürger*innen ließen ihren Urin auf Glyphosat untersuchen, die Hälfte der Teilnehmer*innen verzehrte überwiegend Lebensmittel aus ökologischem Anbau. In 99,6 Prozent der Proben war Glyphosat nachweisbar, dabei machte es fast keinen Unterschied, ob die Probanden sich konventionell ernährten oder nicht. Die Vermutung lag also nahe, dass sich konventionelle Ackergifte – entgegen der Auffassung der Industrie – über die Luft verbreiten und keineswegs vor ökologisch bewirtschafteten Flächen oder Biosphärenreservaten Halt machen. Dafür liefert die neue Studie nun wissenschaftliche Belege. Hier finden Sie weitere Fragen und Antworten zu Pestiziden in der Luft.
Mehr als 100 Pestizide nachgewiesen
Das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft wollte mit der Baumrindenstudie, durchgeführt vom unabhängigen Institut TIEM integrierte Umweltüberwachung erstmalig die flächendeckende Verbreitung von Ackergiften durch die Luft ermitteln. Mittels eines Luftgüte-Rindenmonitorings wurde die Rinde von Bäumen an 47 Standorten deutschlandweit auf Pestizidrückstände untersucht: auch in Schutzgebieten, Bio-Anbauregionen und Innenstädten. Die Studie wies insgesamt 107 verschiedene Pestizide nach, zwei davon waren Ackergifte (DDT und Lindan), die seit Jahrzehnten nicht mehr eingesetzt werden. „Ein anschauliches Beispiel dafür, wie die Entscheidungen früherer Generationen sich noch lange auf die Zukunft auswirken“, kommentiert Niels Kohlschütter, Geschäftsführer der Schweisfurth Stiftung und Koordinator des Bündnisses für enkeltaugliche Landwirtschaft. Am weitesten verbreitet sind laut Studie Pestizide mit hohem Dampfdruck, wie Pendimethalin und Prosulfocarb.
Glyphosat – vom Winde verweht?
Brisantes Ergebnis ist auch, dass an über der Hälfte aller untersuchten Standorte Glyphosat nachgewiesen werden konnte. Dies ist insbesondere von entscheidender Bedeutung, da die Industrie eine Verbreitung des Pflanzenschutzmittels über den Luftpfad bislang negiert. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass „eine Verbreitung über die Luft als ein möglicher Expositionspfad von Glyphosat im Hinblick auf eine allgemeine Belastung nicht plausibel ausgeschlossen werden kann.“ Genau dies jedoch haben sowohl die deutschen als auch die europäischen Behörden im Zulassungsverfahren getan.
Nun ist die Politik gefragt
Mit dieser Studie ist die Bio-Branche in Vorleistung gegangen und liefert wissenschaftliche Belege dafür, dass die Luftverfrachtung von Ackergiften existiert. Für das Bündnis ist sie als enormer Erfolg zu werten, denn die Ergebnisse verleihen ihm eine starke politische Stimme. „Die Studie macht deutlich, dass die Ko-Existenz von Bio-Anbau und konventioneller Landbewirtschaftung grundsätzlich gefährdet ist und gibt uns eine neue Grundlage, um mit der Politik in Dialog zu treten. Die Ko-Existenz der beiden Anbauformen ist eine legitime Forderung und muss in Deutschland dauerhaft gewährleistet werden“, erläutert Kohlschütter die politischen Implikationen der Studie. „So geht es nicht weiter. Es geht an die Wurzel unserer Existenz und das, was wir unter Leben verstehen, wird durch die Ackergifte angegriffen,“ mahnt auch Johannes Heimrath von der Bürgerinitiative Landwende die Brisanz der Ergebnisse an. Zwei richtungsweisende Forderungen stellt das Bündnis an die Politik: Die Revision der europaweiten Zulassungsverfahren und die Aufnahme von Glyphosat und andere in der Studie auffälligen Pestizide als festen Bestandteil der regulären Immissionsüberwachung in Deutschland.
Anschlussstudie bereits geplant
Das Bündnis für enkeltaugliche Landwirtschaft hat bereits eine Folgestudie geplant, die mit drei weiteren Forschungsmethoden die These der Verbreitung von Pestiziden über den Luftweg untersucht. Im Rahmen des Citizen Science Projektes werden Bürger*innen bis Ende Februar 2019 dazu aufgerufen, sich an einem integrierten Monitoring zu beteiligen. Neben dem Baumrindenmonitoring ist beispielsweise die Installation von technischen Sammlern geplant. Ziel dabei ist es, die Bevölkerung miteinzubeziehen und den Staat mit dieser breiten Aktion auch auf seine Schutzverpflichtung aufmerksam zu machen: Die Existenz des Öko-Landbaus muss gesichert und rückstandfreies Bio in der Zukunft gewährleistet sein können.
Dialog und Forschung für eine enkeltaugliche Landwirtschaft
Ein erschreckender Verdacht erhärtet sich: Pestizide, die in der industriellen Landwirtschaft in großem Stil auf Äckern ausgebracht werden, machen nicht vor dem Feldrand halt. Sie verbreiten sich flächendeckend durch die Luft, werden eingeatmet und gelangen so direkt in unseren Körper (Urinale). Diese Forschungserkenntnisse waren Anlass für die Gründung des „Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft“, das durch Forschung und Dialog Wege hin zu einer zukunftsfähigen Landwirtschaft entwickelt. Auf der Biofach 2018, der Weltleitmesse für Bio-Lebensmittel, präsentierte sich das Bündnis bestehend aus der Bürgerinitiative Landwende, der Schweisfurth Stiftung und namhaften Bio-Herstellern und Bio-Händlern zum ersten Mal der Öffentlichkeit.
Vor mehr als 130 Interessierten erklärten die Beteiligten ihr Ziel einer enkeltauglichen Landwirtschaft, die es im Austausch mit Politik, Gesellschaft und konventioneller Landwirtschaft gemeinsam zu gestalten gilt. Die Schweisfurth Stiftung beteiligt sich als Prozessbegleiter und Brückenbauer zwischen Bündnispartnern, Wissenschaft und BürgerInnen.
Dialog mit konventioneller Landwirtschaft
Besonders wichtig ist dem Bündnis „intensiv ins Gespräch mit den konventionellen Landwirten zu kommen“, betont Stefan Voelkel, Geschäftsführer des gleichnamigen Öko-Getränkeherstellers. Gemeinsam soll im offenen Gespräch eine Roadmap entwickelt werden hin zu einer Landwirtschaft, die „die Lebensgemeinschaften auf den Äckern in ihrer ganzen komplexen Vielfalt hütet“, so Johannes Heimrath, Sprecher der Bürgerinitiative Landwende: „Dies stellt das zentrale Bemühen einer enkeltauglichen Landwirtschaft dar.“
Baumrinden-Studie untersucht Ackergifte
Die Schweisfurth Stiftung unterstützt das Bündnis insbesondere durch die Koordinierung unabhängiger Forschung. Nach der Pilotstudie „Baumrinde 2017“, bei der u. a. eine Pestizidbelastung im Englischen Garten in München festgestellt wurde, finanziert das Bündnis eine unabhängige Baumrinden-Untersuchung in Deutschland. Dabei soll dem Verdacht nachgegangen werden, dass die Verfrachtung von Pestiziden nicht am Rand konventioneller Felder haltmacht, sondern sich flächendeckend durch die Luft ausbreitet. Sollte die Vermutung einer flächendeckenden Verbreitung der Pestizide über Städte und Bio-Äcker bewiesen werden, ist das Nebeneinander von ökologischer und chemischer Landwirtschaft gefährdet.
Verantwortung für eine zukunftsfähige Landwirtschaft übernehmen
Die Bürgerinitiative Landwende hat die Kampagne „Ackergifte? Nein danke!“ ins Leben gerufen. Um den Dialog in Gesellschaft und Politik zu intensivieren, unterstützt die Schweisfurth Stiftung als Bündnispartner die Kampagne. Gemeinsam setzen sich die Akteure des Bündnisses dafür ein, dass die Landwirtschaft auch noch für unsere Enkel „taugt“. Heike Kirsten von Rapunzel fasste auf der Biofach das Anliegen der Bündnispartner zusammen: „Wir haben nur diese eine Welt: Das bedeutet höchste Verantwortung, die Erde so zu bewirtschaften, dass sie auch für nachfolgende Generationen lebenswert erhalten bleibt.“
Einladung zum Mitmachen
Das Bündnis freut sich sehr über ein Engagement weiterer Bio-Betriebe, NGOs und Privatpersonen. Als Bündnispartner gestalten Sie zusammen mit bekannten Bio-Herstellern und Bio-Händlern die Wege hin zu einer enkeltauglichen Landwirtschaft. Durch Baumpatenschaften und Spenden unterstützen Sie die Studien zu zentralen Forschungsfragen und intensivieren den Dialog in der Gesellschaft.
Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft
Ein Bündnis von namenhaften Bio-Herstellern, Bio-Händlern, der Bürgerinitiative Landwende und der Schweisfurth Stiftung wollen über den heutigen Tag hinaus für gute Lebensmittel sorgen. Das Bündnis möchte, dass auch zukünftige Generationen ökologischen Landbau betreiben und unbelastete Nahrung zu sich nehmen können. Eine Anzahl der heute verwendeten Ackergifte breiten sich zunehmend und flächendeckend über das Land aus. Wenn das nicht gestoppt wird, droht die Gefahr, dass ökologische Landwirtschaft zukünftig nicht mehr möglich ist. Es ist höchste Zeit für eine echte Landwende.
Wie kann ein pragmatischer Wandel hin zu einer Landwirtschaft ohne Ackergifte funktionieren? Um Antworten auf diese Frage zu finden, hat sich das Aktionsbündnis zwei Hauptziele gesetzt:
- Förderung unabhängiger Forschung zu Ackergiften
- Erarbeitung einer Roadmap hin zu einer enkeltauglichen Landwirtschaft im Dialog mit Landwirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft
Hintergrund
Die Studie „Urinale 2015“ belegt, dass bei nahezu allen Menschen, auch bei denen, die überwiegend Bio-Produkte kaufen, Glyphosat im Körper nachgewiesen werden kann. Wie aber kommt Glyphosat in den Körper? Eine Pilotstudie 2018 zeigt mittels der Analyse von Baumrinden, dass Ackergifte weiträumig über die Luft verfrachtet werden und damit auch die Existenz der ökologischen Landwirtschaft bedrohen. Die weiträumige Verbreitung von Ackergiften über die Luft ist im Zulassungsprozess von Pestiziden in Europa jedoch bisher kaum berücksichtigt. Offene Fragen wissenschaftlich zu fundieren, den Dialog mit Entscheidungsträgern zu suchen und damit eine Änderung der Bewertungsgrundlage zu ermöglichen, das ist das Bestreben des Bündnisses.
Aktionen 2018
Für 2018 hat das Bündnis eine umfangreiche Studie zur Analyse von Baumrinden in Auftrag gegeben. Damit soll eine belastbare Grundlage für die Abschätzung der Luftverfrachtung von Ackergiften geschaffen werden. Parallel dazu lädt das Aktionsbündnis Akteure aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zum Dialog ein und informiert die Öffentlichkeit über neue Erkenntnisse.
Beteiligung
Das Aktionsbündnis freut sich über Unterstützung. Privatpersonen können über die Bürgerinitiative Landwende aktiv werden. Interessierte Unternehmen können sich bei der zentralen Koordinationsstelle, der Schweisfurth Stiftung, über verschiedene Beteiligungsformen am Bündnis oder die Unterstützung der ‚Baumrinden Studie 2018’ informieren.
Werden Sie zum Beispiel Standort-Pate. Standort-Paten (Privatpersonen oder Unternehmen) beteiligen sich an der Finanzierung weiterer Standorte für die Baumrinden-Studie 2018. Dadurch wird die Aussagekraft der Studie erhöht. Gerne prüfen wir gemeinsam mit Ihnen, ob ein Standort in Ihrer Nähe möglich ist.
Die MacherInnern
Im Aktionsbündnis „Ackergifte? Nein danke!“ haben sich Bio-Hersteller und Bio-Fachhändler zusammengeschlossen, die ausschließlich auf Erzeugnisse aus ökologischer Landwirtschaft setzen und sich für eine enkeltaugliche Landwirtschaft einsetzen. Das Bündnis macht mit seinen Aktivitäten die Leistungen von Unternehmen sichtbar, die sich zu 100% bio verpflichtet haben.
Bündnispartner
Allos, basic, Bohlsener Mühle, ebl-Naturkost, Morgenland, Neumarkter Lammsbräu, Ökoland, Rapunzel, Sonnentor, St. Leonards Quelle, SuperBioMarkt, Voelkel
Förderpartner
Arche Naturprodukte, Chiemgauer Naturfleisch, Hermannsdorfer Landwerkstätten, Mauracher Bio-Hofbäckerei, Naturgut, Isana Naturfeinkost, Öma Beer, Riegel Weinimport
Initiatoren
Bürgerinitiative Landwende und basic
Projektname: Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft
Startschuss: 2018
Status: läuft
Wirkungskreis: deutschlandweit
Zielgruppe: Privatpersonen und Unternehmen
Maßnahme: unabhängige Forschung, Erarbeitung einer Roadmap
Ansprechpartner: Dr. Niels Kohlschütter, Kontakt: nkohlschuetter [at] schweisfurth-stiftung.de
Mehr unter: http://enkeltauglich.bio
Wir kooperieren „für eine Agrarkultur, die diesen Namen wieder verdient“
Die Schweisfurth Stiftung im Interview mit Stephan Illi über die Entwicklungen im Ökolandbau, Transparenz und Kooperation als Schlüssel für die Zukunft, die Projekte wir-kooperieren und Kulturland Genossenschaft sowie Wünsche an die nächste Bundesregierung.
Herr Illi, Sie arbeiten seit 1993 mit landwirtschaftlichen Betrieben an der Umstellung und Weiterentwicklung hin zu einem ökologisch und sozial verantwortlichen Landbau. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation im Öko-Landbau ein? Befinden wir uns auf dem richtigen Weg?
Stephan Illi: Aus meiner Sicht ist ja ein Weg immer dann richtig, wenn man schaut wo er hinführt, daraus lernt und dann neu bewertet, ob das die richtige Richtung ist. Der Ökolandbau ist die nachhaltigste Form der Landbewirtschaftung. Die Entwicklung ist aber die gleiche wie im konventionellen Landbau: die meisten Betriebe wachsen, spezialisieren sich, bauen Vielfalt ab und kleinere hören auf. Da im Hintergrund dieselben Marktmechanismen wirken, also z.B. Preisdruck aus internationalen Märkten, Intransparenz über die Herkunft der Waren und extreme Konkurrenz über den gesamten Wertschöpfungskreis, ist das ja irgendwie auch logisch.
Wo liegen die größten Hürden auf dem Weg zu einer nachhaltigen Landwirtschaft?
SI: Eine große Hürde ist für mich die Intransparenz: Viele Verbraucher wissen fast nichts mehr über Landwirtschaft und lassen sich durch die schönen Bildchen der Werbung beeindrucken. Konsumenten wieder näher an die landwirtschaftliche Erzeugung heranzuführen sehe ich als eine sehr große Aufgabe von Menschen, die wirklich etwas verändern wollen. Außerdem müssen wir Kooperationsmodelle entwickeln, statt ewig an Konkurrenz zu denken. Wenn wir nicht lernen, auf allen Ebenen besser zusammenzuarbeiten, zum Wohl von Mensch und Natur, geht aus meiner Sicht die oben genannte Entwicklung einfach so weiter.
Die Schweisfurth Stiftung unterstützt seit 2014 das Projekt wir-kooperieren bei dem Sie Betriebsgemeinschaften beraten und Strategien für eine erfolgreiche Zusammenarbeit entwickeln. Wie läuft das Projekt?
SI: wir-kooperieren ist ein spannendes Projekt, weil es eine gute Grundlage für Zusammenarbeit schafft. Es ist auf die Zusammenarbeit in Betriebsgemeinschaften auf Höfen ausgerichtet, aber auch auf alle anderen Arten der Kooperation übertragbar. Besonders schön ist, dass es von Höfen gut aufgegriffen wird, und auch einige Öko-Berater damit arbeiten.
Transparenz, Verständnis und Vertrauen aufbauen, das sind drei Schlagworte aus ihrem „Werkzeugkasten“ für eine harmonische Zusammenarbeit. Wie erreichen Sie das mit Ihren Projektpartnern?
SI: Als wichtig sehe ich das Bemühen, ehrlich und gemeinsam an den genannten Punkten zu arbeiten. Transparenz herzustellen braucht einerseits technische Voraussetzungen, also z.B. für alle zugängliche Daten und Dateien und andererseits methodische Voraussetzungen: Die Gemeinschaften sollten sich regelmäßig treffen und es dabei schaffen, auch über Unangenehmeres zu reden. Wir müssen lernen uns als Menschen mit Bedürfnissen, großen Potentialen und eben auch Schwächen wahrzunehmen. Wenn diese beiden Dinge gelingen, entsteht unserer Erfahrung nach Vertrauen.
Sind Netzwerkpartnerschaften erfolgreicher als „Einzelkämpfer“?
SI: Ganz sicher nicht grundsätzlich, denn wenn viel gestritten wird, kostet das unendlich viel Kraft. Aber das Potential von gemeinschaftlich verantworteten Betrieben und Netzwerkpartnerschaften ist größer, einfach weil man sich gegenseitig stärken, beraten und unterstützen kann und, wenn das gelingt, nachhaltigere Entscheidungen trifft. Und das Zusammenarbeiten kann man zu einem guten Stück auch lernen – das ist ja die Idee hinter wir-kooperieren. Das bewusste sich Einlassen auf die Zusammenarbeit ist ein großes und sehr schönes Lernfeld, das man überall anwenden kann – sogar in der Beziehung zu seinem Lebenspartner und den Kindern.
Mit einem anderen Projekt Kulturland Genossenschaft organisieren sie Gemeinschaftseigentum an Grund und Boden für die bäuerlich geführte ökologische Landwirtschaft. Privatpersonen können z.B. für den Gegenwert von 5.000€ Genossenschaftsanteile kaufen und erwerben damit 2.000 m² Land, das wiederum von einem der neuen Höfe im Programm bewirtschaftet wird. Die Mitgliederzahl konnte im letzten Jahr verdoppelt werden, die Einlagen verdreifacht. Was ist Ihre Vision für dieses Projekt?
SI: Das Schöne an dem Projekt, bei dem die Schweisfurth Stiftung auch beteiligt ist, besteht aus meiner Sicht darin, dass ein besserer Umgang mit den explodierenden Pacht- und Bodenpreisen möglich ist, wenn sich Konsumenten und Biobauern stärker vernetzen. Bürger mit etwas Geld auf dem Konto investieren einen Teil davon in die Landsicherung für Höfe, deren Arbeit sie unterstützenswert finden. Das ist ab 500 € möglich und nach oben unbegrenzt. Dabei kann das entstehen, was ich bereits vorhin angedeutet habe: Beziehung und eine Art Partnerschaft von Bürgern mit Landwirten. Je regionaler es stattfindet, umso besser. Modelle wie dieses sollten noch sehr stark verbreitet werden: Sie dienen den Bauern und den Bürgern, denn sie sichern das Land für Höfe und sind dabei eine durchaus sichere Geldanlage.
Die gemeinsame Sicherung von Land für regional eingebundene Biobauern ist eine der wichtigen Voraussetzungen, um eine neue Agrarkultur zu ermöglichen, die diesen Namen wieder verdient.
Die Bundestagswahl liegt gerade hinter uns, welches Gesetz wünschen Sie sich von der nächsten Bundesregierung?
SI: Ich könnte da ein ganzes Bündel von Gesetzen vorschlagen, bleibe aber mal beim Thema Transparenz. Wenn wir bei allem was wir einkaufen wüssten, wo und wie es entstanden ist, könnte sich nach und nach etwas verändern. Über das Internet wäre das doch leicht möglich, man müsste eben die passenden Methoden entwickeln. Ebenso dürften keine irreführenden Angaben und unzutreffenden Bilder gemacht werden. Und weiter gedacht: Wir Bürger müssten in alle notwendigen staatlichen Informationen, abgesehen von persönlichen Daten, einblicken können. Ist es nicht absolut verrückt, wenn die europäische Zulassungsbehörde zustimmt, dass Glyphosat [Anmerkung der Redaktion: Derzeit ist der Film Roundup, der Prozess online abrufbar] aufgrund geheim gehaltener, firmeneigener Untersuchungsergebnisse von Monsanto zugelassen werden kann? Wir öffnen damit Lobbyismus und Bestechlichkeit Tür und Tor und schaffen die totale Intransparenz! Ich denke, wenn man das Thema Transparenz durch entsprechende Gesetzgebung ernsthaft angeht und zudem mehr Volksabstimmungen in Bund und EU erlaubt, entsteht mehr Mündigkeit der Bürger und die Politikverdrossenheit geht zurück.
Ergebnis dieses Vorgehens wären mit hoher Wahrscheinlichkeit bessere, regionalere und vor allem nachhaltigere Produkte. Und ein wichtiger Schritt in Richtung Sicherung einer gutenLandwirtschaft sowie nachhaltigen Ernährungskultur, welche immer mehr Konsumenten wollen. Also alles Themen, für die sich auch die Schweisfurth Stiftung mit großer Kraft einsetzt.
Vielen Dank, Herr Illi!
Stephan Illi
ist Berater für Kooperationen und Organisationsentwicklung sowie Projektleiter von wir-kooperieren.org. Der studierte Agraringenieur war sieben Jahre lang geschäftsführender Vorstand im Demeter Bundesverband in Darmstadt. Zuvor war er 13 Jahre als Geschäftsführer der Demeter Milchbauerngemeinschaft und Demeter Erzeugerberater in Bayern mit dem Schwerpunkt Umstellungsberatung tätig. Er lebt in Prien am Chiemsee.
Was hat das Schnitzel auf dem Teller mit der Qualität von Honig zu tun?
Dieser überraschende Zusammenhang wurde beim Treffen im Rahmen des Aktionsbündnisses „Ackergifte? – Nein Danke!“ im September 2017 deutlich. Vertreter des Bio-Fachhandels, der Aktion GEN-Klage und des Europäischen Berufsimkerverbandes trafen am Runden Tisch in der Schweisfurth Stiftung auf zwei Honig-Produzentinnen aus Mexiko. Die indigenen Maya Imkerinnen berichteten über ihre derzeitige Lage in Mexiko.
Seit die mexikanische Regierung 2012 die Genehmigung erteilte, unter anderem auf der Halbinsel Yucatán genetisch veränderte Soja-Monokulturen großflächig anzupflanzen, wurden riesige ehemalige Waldgebiete in Monokulturen verwandelt. Damit einher geht der Rückgang der Artenvielfalt und der intensive Einsatz des Pestizids Glyphosat. Auch die Bienen bleiben vor den Auswirkungen nicht verschont. Im Honig können seither immer wieder deutliche Rückstände von Glyphosat oder gentechnisch veränderten Pflanzen nachgewiesen werden, was auch bedeutet, dass der Honig in Europa nicht verkauft werden darf. Damit ist ein Teil des kulturellen Erbes der Maya durch den wegfallenden Markt unmittelbar bedroht.
Sojaanbau führt zu einseitigem Speiseplan für Bienen
Wenn man an Soja und Nahrung denkt, kommen vielen Menschen Produkte wie Tofu, Sojamilch oder Fleischersatzprodukte in den Sinn. Tatsächlich wird der Anbau von Gen-Soja vor allem indirekt über den Fleischkonsum gefördert. Etwa 80% der weltweiten Soja-Ernte wird als relativ günstiges Futtermittel für Nutztiere verwendet. In der EU ist der Anbau von Gen-Soja verboten, der Import jedoch erlaubt. Da die EU-Länder selbst nicht genug Futtermittel für ihre Nutztiere produzieren, werden große Mengen an Soja importiert. 80% der weltweit angebauten Sojapflanzen sind offiziell genverändert, somit auch der Großteil des Futtermittels in der EU.
Das Fazit: Höherer Fleischkonsum => mehr Bedarf an Sojafuttermittel => mehr Soja-Anbau => weniger Pflanzenauswahl für die Bienen => mehr Belastung im Honig
Was kann ich als Konsument*in tun?
Durch bewussten Fleischkonsum können wir indirekt einen Teil dazu beitragen, dass langfristig Honig in guter Qualität und ohne Glyphosat- oder Gentechnikrückstände in den Supermarktregalen zu finden ist. Bewusster Konsum bedeutet zum Beispiel weniger Fleisch, Bio-Fleisch oder Fleisch mit der Kennzeichnung „ohne Gentechnik“ zu essen. Damit verringert sich der Bedarf an Soja und der Anreiz Gen-Soja illegal anzubauen.
Konsequenzen kulinarischer Genüsse aus der Ferne
Es gibt guten regionalen Honig, wozu brauche ich dann Honig aus Mexiko? Die Konsequenzen exotischer Genüsse sind oft schwer zu durchschauen. Am Runden Tisch wurde an diesem Tag deutlich, dass ich mit einem bewussten Fleischkonsum sowohl meine Freude am Honig als auch die Maya-Imker in Yucatán unterstützen kann.
Die Autorin Fenja Hehl studiert Umweltbildung an der PH Weingarten und absolviert aktuell ein Praktikum in der Schweisfurth Stiftung.