Leben als Lego-Baukasten? Ein Wort zur Synthetischen Biologie

Forscher erschaffen künstliche DNA. Das klingt wie in einem ScienceFiction-Film, ist im Wissenschaftsalltag aber längst Realität. Die neue Spielwiese der Gentechnologie nennt sich Synthetische Biologie. Sie ermöglicht es, Gene beliebig zu manipulieren, bestehendes Leben zu „optimieren“ und neue Lebewesen zu schaffen. Genau diese schier unbegrenzten Möglichkeiten machen die Synthetische Biologie für viele so interessant.

Künstliches Leben? Längst machbar.
Das Erbgut besteht naturgemäß aus vier Basen: Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin. Paarweise verbunden bilden diese Basen die DNA-Moleküle. Mit der Synthetisierung komplett neuer Basen wird Leben erschaffen, das in der Natur überhaupt nicht vorgesehen ist. 2014 etwa meldeten kalifornische Forscher die Ausstattung eines Bakteriums mit einem zusätzlichen Basenpaar. Neben den vier üblichen DNA-Bausteinen wurde das Alphabet des Lebens einfach um zwei weitere Basen erweitert: d5SCIS and dNaM. Die Forscher sprechen von einem halbsynthetischen Lebewesen.[1] Bei der Deutschen Forschergemeinschaft DFG ist man euphorisiert über die unendlichen Möglichkeiten der Synthetischen Biologie: Biologische Systeme (Lebewesen!) sollen „nicht nur künstlich generiert bzw. nachgebaut, sondern kreativ gestaltet und mit Komponenten ausgestattet werden, die in der Natur in dieser Form bisher nicht vorkommen“[2].

Weitreichende Anwendungsmöglichkeiten
Synthetische Biologie ist eine relativ junge Wissenschaft. Angesiedelt zwischen Ingenieurstechnik, Chemie und Biotechnologie, erstrecken sich ihre möglichen Anwendungsgebiete von der Medizin und Diagnostik über die Energiegewinnung bis hin zur chemischen Produktion. Auch in Landwirtschaft und Tierhaltung bieten sich Anwendungsfelder. Auf die Spitze getrieben: Das „genoptimierte“ blinde, federlose Huhn wäre die Lösung für das unschöne tierschutzrelevante Problem des Federpickens. Dass die Ursachen für diese Verhaltensstörung eben gerade in der Zucht und in den unzureichenden Haltungsbedingungen liegt – wen kümmert es? Es wäre nicht das erste maßgeschneiderte Tier – längst können Labore Mäuse und andere Nager bestellen, die nach Kundenwunsch gewissermaßen genetisch „designt“ werden.

Was darf der Fortschritt?
Wie keine andere Technologie wirft die Synthetische Biologie die Frage auf, ob und wie weit der Mensch als Schöpfer in die Natur eingreifen darf. Wer sich in dieser Diskussion kritisch äußert, wird gern als fortschrittsfeindlich abgekanzelt. Was dabei vergessen wird: Fortschritt ist sinnvoll und gut, wenn er Sinnvolles und Gutes hervorbringt. Und – das ist der wesentliche Aspekt bei allen biotechnologischen Anwendungen – wenn seine Folgen kontrollierbar sind. Das bedeutet auch, dass sie sich der politischen Willensbildung unterwerfen.

Es bleibt: Das Risiko
Im Fall der Synthetischen Biologie gibt es trotz weitreichender Forschungs- und Anwendungsmöglichkeiten keine angemessenen gesetzlichen Regelungen. Dabei sind die Folgen dieser Technologie unabsehbar. Wie verhält sich etwa künstliche DNA im Organismus? Was passiert im Zusammenspiel mit anderen Lebewesen? Wie beeinflusst künstlich erzeugtes Leben die Umwelt? Fragen, die bisher niemand beantworten kann.

Eine Technik mit hohem Missbrauchspotenzial
Besonders brisant: Die Methoden der Synthetischen Biologie sind inzwischen theoretisch jedem zugänglich. Das notwendige Werkzeug kann man problemlos im Internet bestellen. Weil so jeder zum Hobby-Bioingenieur werden kann, birgt die Synthetische Biologie ein riesiges Missbrauchspotenzial. Hier entstehen neuartige Risiken, die weder angemessen beforscht noch seitens der zuständigen Stellen gebührend berücksichtig werden. Das ist tragisch – denn die Konsequenzen werden alle Menschen tragen müssen. Auch die Zivilgesellschaft, die nicht gefragt wurde, ob sie solch weitreichende Technologien überhaupt möchte.

 

Zum Weiterlesen:
Die kritische Analyse von Dr. Christoph Then (TestBiotech e.V.) und Sylvia Hamberger: Synthetische Biologie und künstliches Leben Teil 1 & Teil 2.
Das Dossier „Mit Bioökonomie die Welt ernähren?“ von Franz-Theo Gottwald und Joachim Budde.

Quellen
[1] Malyshev, Denis A.; Dhami, Kirandeep; Lavergne, Thomas; Chen, Tingjian; Dai, Nan; Foster, Jeremy M.; Corrêa, Ivan R.; Romesberg, Floyd E. (2014): A semi-synthetic organism with an expanded genetic alphabet. In: Nature DOI: 10.1038/nature13314
[2] http://dfg.de/dfg_magazin/forschungspolitik_standpunkte_perspektiven/synthetische_biologie/index.html, aufgerufen am 9.12.2015

 

Die Kommerzialisierung allen Lebens hat Folgen

Mit der Technik von morgen die Probleme von heute lösen – eine verlockende Vision. Auch in der Landwirtschaft versprechen neue Technologien scheinbar das Ende aller Hungersnöte. Franz-Theo Gottwald, Vorstand der Schweisfurth Stiftung, warnt dagegen vor der sogenannten Bioökonomie.

Ein unkalkulierbares Risiko
„Wir haben schon das Elend der Atomtechnik erleben müssen, partiell das Elend der grünen Gentechnik – und jetzt fangen wir an, die Grundbausteine des Lebens neu zu kombinieren“ resümiert Gottwald im Interview mit dem oya Magazin. Der Einsatz solcher neuen, „nicht rückholbaren“ Biotechnologien wie der synthetischen Biologie sei mit einem nicht kalkulierbaren Risiko verbunden, so der Agrarexperte. Ein Risiko, das aus seiner Sicht zudem unnötig ist:

„Es wird argumentiert, dass diese Entwicklung nötig sei, um 10 Milliarden Menschen zu ernähren, aber das ist auch durch sanfte Alternativen, die für mehr Menschen mehr Zugänge zu Nahrung ermöglichen und weniger Kosten verursachen, erreichbar.“

Eine Aufgabe für die Politik – und jeden einzelnen
Um diesen sanften Methoden den Vorzug vor einer Vermarktung alles Lebendigen zu geben, sieht der Vorstand der Schweisfurth Stiftung Politik und Gesellschaft in der Pflicht: „Meines Erachtens ist ein politischer Rahmen gefragt und zugleich eine Begleitung von Menschen in andere Wahrnehmungs- und Empfindungsmuster, die sie aus der Einstellung herausführen, Natur beherrschen zu wollen.“

Zum vollständigen Interview im oya Magazin