Kuhgebundene Kälberaufzucht in der Milchviehhaltung – für mehr Tierwohl in der Milcherzeugung
Die Schweisfurth Stiftung lud am 23. November zum Runden Tisch zum Thema „kuhgebundene Kälberaufzucht“ ein. Milchviehhalter, sowohl die, die solche Verfahren bereits praktizieren als auch die, die sie einführen wollen, diskutierten Fragen und Herausforderungen der Thematik . Eine Fortführung des Erfahrungsaustauschs und der weitere Ausbau des Netzwerks von und für Praktiker wurde von allen begrüßt.
Tierwohl in der Milchkuhhaltung
Tierwohl und artgerechte Haltung beginnen bei der Milcherzeugung mit der Kälberversorgung. Die natürlichste Variante ist der Kontakt des Kalbes mit seiner Mutter und das Säugen am Euter. Dies wird jedoch den meisten Kälbern verwehrt, da sie kurz nach der Kalbung von der Mutter getrennt und aus dem Eimer mit Milch oder mit Milchaustauscher (Milchpulver) gefüttert werden. Eine Ausnahme ist die sogenannte „Mutterkuhhaltung“, in der die Kälber bei den Müttern bleiben und am Euter saufen dürfen. Hierbei geht es jedoch nicht um Milchgewinnung, sondern um das Heranzüchten von Schlachttieren. Dieser Unterschied ist vielen Verbrauchern nicht bewusst.
Neue Entwicklungen in der Kälberaufzucht
Aber es gibt auch Landwirte, die mit anderen Verfahren arbeiten: Eine sehr kleine Gruppe von Milchviehhaltern hat auf ihren Betrieben die übliche Tränke aus dem Eimer durch das direkte Saugen an der Mutterkuh oder an einer Amme ersetzt. Diese Verfahren bezeichnet man als muttergebundene bzw. ammengebundene Kälberaufzucht. Die meisten Landwirte haben Mischformen dieser Verfahren entwickelt – übergreifend kann man von kuhgebundener Kälberaufzucht sprechen.
Viele Argumente für die Umstellung
Das Interesse an diesen natürlicheren Alternativen wächst, was vielfältige Gründe hat: Das wachsende Interesse der Verbraucher an den Haltungsbedingungen der Nutztiere spielt einerseits eine Rolle. Andererseits wurden manche Milchviehhalter durch Probleme beim bisherigen Kälberaufzuchtverfahren zur Umstellung motiviert. Aber auch Arbeitserleichterungen durch das Wegfallen der Tränkearbeit und das Reinigen der Utensilien sowie mehr Spaß und Freude bei der Arbeit waren genannte Gründe von Milchviehhaltern, die auf kuhgebundene Kälberaufzucht umgestellt haben.
Wissenschaft liefert wertvolle Erkenntnisse
Auch die Wissenschaft befasst sich bereits seit einigen Jahren mit dem Thema. Das Thünen-Institut hat 2009 auf seinem Versuchsbetrieb mit wissenschaftlichen Arbeiten begonnen. Seit diesem Jahr läuft eine neue Arbeit zum Potenzial der Vermarktung von Milch und männlichen Kälbern aus der kuhgebundenen Kälberaufzucht. Die Uni Kassel ist an einem internationalen Forschungsprojekt beteiligt, in welchem auch die verschiedenen bestehenden, kuhgebundenen Kälberaufzuchtsysteme identifiziert und beschrieben sowie die gesetzlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen hierfür verglichen werden.
Schweisfurth Stiftung als Vermittler und Prozessbegleiter
Zur Fortführung der Auftaktveranstaltung „Runder Tisch“ möchte die Schweisfurth Stiftung den Aufbau eines Netzwerks zur Förderung der kuhgebundenen Kälberaufzucht mit unterstützen. Ein Erfahrungsaustausch zwischen interessierten Milchviehhaltern, der Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Praxis sowie die Kontakte zu potentiellen Vermarktern der Produkte, sind geplante Elemente des Projektes. Mehr Informationen zu dem Projekt finden Sie hier.
Ein Netzwerk von interessierten Akteuren wird derzeit aufgebaut. Wenn Sie das Projekt unterstützen möchten oder sich beteiligen wollen, melden Sie sich bitte bei:
Saro Gerd Ratter, Projektmanager – Tierwohl, Tel.: 089 – 17 95 95 -11 oder per E-Mail.
Milchbauern und Kühe an der Leistungsgrenze
Anlässlich des Tages der Milch am 1. Juni plädiert hier unsere Kuratorin, die Journalistin und Buchautorin Dr. Tanja Busse, für eine artgemäße Milchviehhaltung und einen anderen Umgang mit unseren Milchbauern.
„Wir müssen Kühe wieder als Lebewesen betrachten und nicht als Milchproduktionsmaschinen“.
So hat es der bayrische Futtermittelhändler Josef Feilmeier auf den Punkt gebracht, der sich seit Jahrzehnten für gute und vor allem gentechnikfreie Futtermittel einsetzt. Er kritisiert, dass das Futter der Milchkühe mit riskanten Zusatzstoffen angereichert wird. Zum Beispiel mit purem Harnstoff, dem Abfallprodukt unseres Stickstoff-Stoffwechsels, den Mensch und Tier eigentlich mit dem Urin ausscheiden. Kühe können Harnstoff aus ihrem Blut zwar tatsächlich recyceln, aber sie damit zu füttern, ist sehr riskant. Und durchaus typisch für die artifizielle Milchproduktion unserer Tage.
Zusammenleben in Symbiose
Jahrtausende lang hat die Kuh den Menschen begleitet. Ohne die Rinder wären die Menschen vermutlich nicht sesshaft geworden. Ihre besondere Eigenschaft: Sie können Gras in Milch und Fleisch verwandeln. So haben es die Kühe unseren Vorfahren ermöglich hat, auch in den Bergen und an den Küsten zu leben, in Gegenden, wo Ackerbau kaum Ertrag bringt. Kühe und Menschen haben so gemeinsam unsere Kulturlandschaften geprägt und dabei artenreiche Ökosysteme geschaffen.
Auf Hochleistung getrimmt
In den letzten Jahrzehnten haben Agrarwissenschaftler, Berater und Landwirte dieses System auseinandergenommen: Sie haben die robuste Weidekuh in eine Hochleistungsportlerin verwandelt und – fasziniert von ihrer enormen Leistungsfähigkeit – mit ihrem Verdauungssystem und ihren genetischen Anlagen experimentiert. Das Ergebnis ist die moderne Holstein-Friesian-Kuh, die vier bis fünf, in Extremfällen sogar zehn Mal so viel Milch gibt wie ihre Vorfahrinnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das ist natürlich mit Weidegras nicht möglich. Die Hochleistungskuh wird vor allem mit energiereichem Mais gefüttert. Weil Mais aber zu wenig Eiweiß enthält, braucht sie zusätzliche Eiweißquellen, Rapskuchen oder Sojaschrot. Oder eben Harnstoff.
Viel Milch – Kurzes Leben
Die Messlatte des Erfolgs war dabei lange die Milchleistung pro Kuh und Jahr. Rekordkühe schaffen mehr als 20 000 Liter pro Jahr, manche Betriebe erreichen einen Stalldurchschnitt von mehr als 10 000 Litern. Doch der Preis für diesen kurzfristigen Erfolg ist hoch: Denn die meisten Kühe schaffen es nicht, so viel zu leisten, und dabei langfristig gesund zu bleiben. Sehr viele Kühe werden schon nach zwei oder drei Jahren im Melkstand geschlachtet, obwohl ihre natürliche Lebenserwartung bei achtzehn bis zwanzig Jahren liegt.
„Die einseitige Selektion auf hohe Milchleistung macht die Kühe krank“, warnen kritische Tierärzte und Wissenschaftler. Einige von ihnen haben gerade die „Göttinger Erklärung zur Milchproduktion“ verabschiedet, in der sie die hohen Erkrankungsraten der Kühe auf die einseitige Selektion auf hohe Milchleistung zurückführen und dringend ein Umdenken einfordern.
Demütigung für die Bauern
Die Situation ist ziemlich absurd: Die Kühe geben so viel Milch, dass sie krank werden. Die Landwirte aber können davon nicht einmal leben, denn alle zusammen produzieren sie mehr Milch, als gebraucht wird. Und deshalb sinken die Preise. Der katastrophale Preisverfall seit dem Ende der Milchquote im letzten Jahr treibt viele Milchbauern in den Ruin, und alle machen zur Zeit Verluste. Anfang Mai haben die Discounter ihre Milchpreise auf weniger als 50 Cent pro Liter gesenkt – das ist skandalös und demütigend für die Bauern.
Artgerechte Haltung, faire Preise
Dabei ginge es so viel besser: Eine weniger intensive Milchviehhaltung brächte viele Vorteile: für die Kühe, weil sie auf die Weide dürften, für die Biodiversität, weil das Dauergrünland vielen gefährdeten Arten einen Lebensraum bietet, für die Regenwälder, weil weniger Soja importiert werden müsste, und auch für das Klima, denn Grünland bindet Treibhausgase. Doch dafür ist die Politik gefragt: Denn Kühe auf der Weide geben weniger Milch, und für 25 Cent kann das kein Bauer leisten. Wir bräuchten also einen fairen Lohn für Milchbauern und ihre Kühe und ein Dumpingverbot für Lebensmittel.
Zum Weiterlesen:
Tanja Busse (2015): Die Wegwerfkuh. Wie unsere Landwirtschaft Tiere verheizt, Bauern ruiniert, Ressourcen verschwendet und was wir dagegen tun können. Blessing Verlag.
Zum Freuen:
Kühe brauchen die Weide! Sehen Sie hier Bilder purer Lebensfreude vom Weideaustrieb des Hofes Dannwisch bei Elmshorn.