Tierwohl in der Schweinehaltung – was heißt das überhaupt?

Schweine in Deutschland haben ein sehr kurzes und meist auch kein sehr schönes Leben. Wie können Verbesserungen in den Bereichen Zucht, Haltung, Transport und Schlachtung für mehr Tierwohl in der Schweinehaltung sorgen? Welche Verantwortung hat der Mensch gegenüber den Tieren, die er großzieht und konsumiert? Diesen Fragen gehen Nora Klopp, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Schweisfurth Stiftung und Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald, Vorstandsvorsitzender der Schweisfurth Stiftung, in dem Artikel „Schwein gehabt? Tier- und konsumethische Aspekte des Umgangs mit Schweinen“ nach. Erschienen ist der Beitrag in dem Sammelband „Fleisch. Vom Wohlstandssymbol zur Gefahr für die Zukunft“, herausgegeben von Prof. Dr. Jana Rückert-John und Dr. Melanie Kröger. Lesen Sie hier eine kurze Zusammenfassung des Beitrags:

Woher kommt mein Essen?

Diese Frage stellen sich immer mehr VerbraucherInnen. Doch eine schnelle Antwort darauf gibt es meist nicht, denn die Produktionskette einzelner Lebensmittel nachzuvollziehen ist zeitintensiv und oftmals aufgrund intransparenter, komplexer Lieferketten unmöglich. Doch genau dies ist notwendig, damit sich der/die KonsumentIn im Supermarkt entscheiden kann – für tierische Produkte aus artgerechter Haltung. Es tragen z.B. die Haltung nach Bio-Richtlinien, auf Stroh oder im Freien dazu bei, dass die Tiere, die wir essen, ein Leben frei von Hunger und Durst, Unbehagen, Schmerzen, Krankheiten sowie Angst und Leiden haben. Aber auch die Freiheit zum Ausleben tierspezifischer Verhaltensweisen sind essentiell. Ein Tierwohl-Label, welches den VerbraucherInnen als Orientierung im Supermarkt dient, sollte all diese Faktoren berücksichtigen.

Derzeit gibt es eine Reihe unterschiedlicher Herkunftszeichen und Siegel: So haben einige große Supermarktketten eigene Labels eingeführt und 2019 auch das Bundeskabinett. Das staatliche Tierwohlkennzeichen – vorerst nur für das Schwein – ist jedoch nicht verpflichtend auf allen Produkten anzugeben, so dass es nur bedingt seine Wirkung entfalten kann. Aktuell steht der/die VerbraucherIn einem unübersichtlichen Label-Dschungel gegenüber. Nur ein bundesweit einheitliches und verpflichtendes Label würde hier eine Verbesserung bringen.

Weniger wird mehr

Damit zunehmend mehr Schweine ein besseres Leben haben, ist ein Umdenken sowohl auf Verbraucher- als auch auf Erzeugerseite notwendig: Denn die tiergerechte Haltung ist mit einem deutlichen finanziellen Mehraufwand für LandwirtInnen verbunden. Das bedeutet, dass auch die KonsumentInnen bereit sein müssen höhere Kosten für mehr Tierwohl mitzutragen und ihren Einkauf nach dem Prinzip „Weniger wird mehr“ ausrichten – weniger Fleisch, dafür aus guter Haltung und zu fairen Preisen für Mensch und Tier.

Fleisch. Wohlstand oder Gefahr für die Zukunft?

Welche Rolle Fleisch in unserer Gesellschaft im Wandel der Zeit einnimmt und einnehmen kann, diskutieren WissenschaftlerInnen auf rechtlicher, ökonomischer, ethischer, historischer und kultursoziologischer Perspektive ausführlich im Band „Fleisch“ der Reihe Ernährung & Gesellschaft, erschienen bei Nomos.

„Gemüse aus dem Hochhaus?“

Auszüge aus dem Beitrag der Schweisfurth Stiftung im Kritischen Agrarbericht 2018.

Ein neuer Trend aus den Ballungszentren Asiens macht auch an den europäischen Stadtgrenzen keinen Halt: Vertical Farming (VF). Hochtechnologisierte Unternehmen bieten damit eine weitere Art der (peri)urbanen Nahrungsmittelproduktion. Global werden zunehmend Flächen in Städten für den Anbau von Kräutern und Gemüse erschlossen – was mit Urban Gardening Bewegungen begann, wird nun professionalisiert und industrialisiert.

Was ist Vertical Farming?

Unter dem Begriff Vertical Farming werden verschiedenste, vertikal aufgebaute Kreislaufanlagen zur Erzeugung von pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln zusammengefasst. Gemüse und Kräuter werden in hydroponischen Systemen zumeist erdlos bzw. anorganisch auf Steinwolle, Kokosfaser o.ä. mit einer Nährstofflösung versorgt. Bei der Aquaponik teilen sich Pflanzen und Fische das zirkulierende Wasser und nutzen die jeweiligen Abfallprodukte des anderen als Nährstoffe. Angebaut wird in zum Teil mehrstöckigen Gebäuden oder unterirdisch beispielsweise, in ehemaligen Bunkern. Die Kombination aus einer dosierbaren Nährstoffversorgung und Licht-Bestrahlung durch LED-Lampen bietet ideale Bedingungen für ein schnelles Wachstum der Pflanzen und Fische.

Das neue Bio?

Die Vorteile des VF scheinen offensichtlich: Die Transportwege zwischen Produzent und Verbraucher sind kurz. Durch den Etagenbau wird wenig Fläche verbraucht, durch die geschlossenen Anlagen wird Wasser eingespart. Düngemittel sind kaum notwendig. Doch was sagt der kritische Blick aus ethischer Perspektive? Inwieweit kann eine solche anorganische Lebensmittelproduktion zu einer nachhaltigen und umweltethisch vertretbaren Lebensmittelversorgung beitragen?

Ein Zwischenfazit

Anhand der Sustainable Development Goals (SDGs)  haben Nora Klopp und Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald in ihrem Artikel hydroponische und aquaponische Kreislaufanlagen unter die Lupe genommen. Wie naturnah muss oder naturfern darf der Anbau von Lebensmitteln sein, um noch als nachhaltig zu gelten? Einige Folgerungen und Forderungen der Schweisfurth Stiftung in Hinblick auf den VF Trend sind hier angeführt. Für ein abschließendes Urteil ist jedoch weitere Forschung notwendig.

  • „Die Regeneration und Pflege von Böden ist zwingend notwendig. Dies kann auch im Rahmen von ökologischem Landbau geschehen. Der Betrieb von [Kreislaufanlagen] kann nicht als Alternative bei weiter voranschreitender Bodenerosion gelten. Es gilt eine Konfliktverlagerung von Konkurrenz um fruchtbare Böden hin zu Nährsubstraten zu unterbinden.
  • Die Gesundheitsfolgen von Pflanzen aus anorganischem Anbau sind weitgehend ungeklärt. Vor einer Zulassung müssten langfristige Folgen für Mensch, Tier und Pflanzen erforscht werden.
  • Mit zunehmender Inbetriebnahme von VF-Systemen steigt das Risiko der Abnahme von Biodiversität von Saat- und Zuchtgut. Ein Erhalt der Biodiversität trotz voranschreitender Spezialisierung im Lebensmittelsektor muss garantiert werden.“
  • Vertical Farming darf nicht zu einem Reboundeffekt führen und die Flächenversiegelung verstärken. Wenn durch Vertical Farming ursprünglich landwirtschaftlich genutzte Fläche frei wird, muss die weitere Nutzung dieser Landflächen im Sinne einer nachhaltig ökologischen Entwicklung klar geregelt sein.
  • „Um Hydrokultur und Aquaponik als nachhaltig einstufen zu können, ist eine ganzheitliche Prüfung unter Berücksichtigung aller Faktoren (inklusive der externen Kosten) notwendig. Dazu gehören u. a. Energie, Wasser, Nährstoffe, Regeneration, Flächennutzung.“

 

Lesen Sie hier den ganze Artikel „Gemüse aus dem Hochhaus?“ von Nora Klopp und Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald im Kritischen Agrarbericht 2018 nach. Der Kritische Agrarbericht 2018 wurde am 18. Januar 2018 mit dem Schwerpunkt „Globalisierung gestalten“ und Stellungnahmen zur aktuellen Agrarpolitik auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin vorgestellt. Seit 1993 wird er jährlich vom AgrarBündnis e.V. herausgegeben und dokumentiert die thematische Bandbreite der agrarpolitischen Debatte vor dem Hintergrund der europäischen und weltweiten Entwicklung. Hier finden Sie die aktuelle Pressemitteilung.