Herausragende Bachelor- und Masterarbeiten mit Forschungspreis gekürt
Pressemitteilung zur Verleihung des Forschungspreises Bio-Lebensmittelwirtschaft am 27.07.2022 in Nürnberg:
„Herausragende Arbeiten“ entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette – Forschungspreis BioThesis auf der Biofach 2022 verliehen
Die Bio-Branche setzt sich für eine ganzheitliche Ernährung, Gesundheit und Fairness ein. Dabei geht es nicht nur darum, gute Lebensmittel zu produzieren, sondern auch, entlang der gesamten Lieferkette fair und nachhaltig – im Einklang mit der Natur zu wirtschaften. Dies bezieht sich auf Boden, Pflanze Tier, und Mensch. Um diesen Zielen täglich näher zu kommen, bedarf es Forschung und Innovation. Mit der BioThesis zeichnen wir darum jedes Jahr herausragende Bachelor- und Masterarbeiten aus, die sich mit den Herausforderungen der Bio-Lebensmittelbbranche und einem nachhaltigen Umbau der Ernährungswirtschaft beschäftigen.
Ein großes Thema ist seit einiger Zeit die Fragestellung der „wahre Preis“ unserer Lebensmittel. Internalisierung von Umwelt- und Sozialleistungen führen zu höheren Preisen. Die Unternehmen die diese Leistungen externalisieren, das heißt der Gesellschaft oder kommenden Generationen aufbürden, haben im jetzigen System den besten Preis. Ganz im Sinne dieser aktuellen Fragestellung hat sich Alexander Greiner von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde mit dem wahren Preis unserer Milch beschäftigt. Er geht das Thema in einer ganzheitlichen Betrachtungsweise an und berücksichtigt dabei auch die wesensgemäße Haltung der Milchkühe – also die Frage des Tierwohls. Herr Greiner hat anhand eines Praxisbeispiels ein sehr komplexes Themenfeld bearbeitet und dabei wertvolle Erkenntnisse für den gesellschaftlichen Diskurs geliefert. Für seine Arbeit erhält er den zweiten Platz in der Kategorie „Beste Bachelorarbeit“.
Den ersten Platz erreicht Georg Saathoff von der Universität Kassel. Seine Bachelorarbeit handelt von einem Trennversuch von Weizen-Erbsen-Mischkulturen zur Nutzbarmachung für Speisezwecke. Erbsen und Weizen bilden eine intelligente Mischkultur zum gegenseitigen Nutzen und zur Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit. Wenn wir resiliente Strukturen und gesündere Böden schaffen wollen, sind Forschungen zu Mischkulturen und deren späteren Verwendungsmöglichkeiten essentiell. Praxisorientierte Arbeiten in Kooperation mit Lebensmittelverarbeitern wie die von Herrn Saathoff leisten einen großen Beitrag für mehr Akzeptanz und Mut, sich mit neueren Anbaumethoden auseinander zu setzen und diese praktisch umzusetzen.
Neben diesen beiden herausragenden Bachelorarbeiten, prämierte die Jury dieses Jahr auch wieder zwei Masterarbeiten. Sind die Kund*innen bereit mehr für Bio und regionale Lebensmittel zu zahlen? Und wenn ja, was motiviert sie zu ihrer Kaufentscheidung? Dieser Frage ist Johanna Lieb von der Technischen Universität München in ihrer Masterarbeit nachgegangen. „In meiner Masterarbeit wollte ich die Wahrnehmung und das Verständnis von verschiedenen Lebensmittelkennzeichnungen erforschen, um einen Beitrag zur Erleichterung von Kaufentscheidungen für Konsument*innen zu leisten,“ so Johanna Lieb. Frau Liebs Forschung leistet einen wichtigen Beitrag, in Zukunft noch mehr Kund*innen für Bio-Lebensmittel zu gewinnen. Für ihre Leistung wird sie mit dem zweiten Platz in der Kategorie „Beste Masterarbeit“ ausgezeichnet.
Gewinner in der Kategorie „Beste Masterarbeit“ ist in diesem Jahr Moritz Hentschl von der Universität Augsburg mit seiner Arbeit über die „Quantifizierung der Emissionen aus Landnutzungsänderungen durch den deutschen Verbrauch von tierischen Lebensmitteln“. Er erarbeitete ein Verfahren, das die Landnutzungsänderungen Regenwaldabholzung und Moor-Trockenlegung für tierische Lebensmittel aus konventioneller Produktion inklusive der benötigten Futtermittel in Treibhausgas-Äquivalenten bemisst und durch Kostenfaktoren in volkswirtschaftlich relevante Folgeschäden transformiert. Herrn Hentschls Erkenntnisse sind wegweisend für die weitere Gestaltung von (Preis-) Politik, Nachhaltigkeitslabels und zukunftsorientiertem Handeln.
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Die Preise an der Supermarktkasse lügen! Was kosten unsere Nahrungsmittel wirklich?
Sind unsere Lebensmittel zu billig? Wer zahlt den Verlust der Artenvielfalt, die Verschmutzung von Gewässern und die Folgen des Klimawandels? Und was kostet der Einsatz von Ackergiften wie zum Beispiel Glyphosat tatsächlich? Diese und ähnliche Fragen diskutierten Vertreter aus Politik, Wissenschaft, der Bio-Branche sowie dem Lebensmitteleinzelhandel auf der Biofach 2019. Die Diskussion zeigte deutlich: Die derzeitigen Lebensmittelpreise spiegeln die wahren Kosten bei weitem nicht wider, eine einfache Lösung hierfür gibt es jedoch nicht.
Studie deckt die wahren Kosten unsere Nahrungsmittel auf
Hintergrund der Diskussion stellt die von Tollwood München und der Schweisfurth Stiftung in Auftrag gegebene Studie „How much is the dish? – Was kosten uns Lebensmittel wirklich?“ dar. Diese deckt auf, dass die Preise für unsere Lebensmittel aktuell deutlich zu niedrig sind, da sie externe Kosten aus Umweltbelastungen nicht enthalten. Würden die Umweltfolgekosten einberechnet werden, müssten beispielsweise die Erzeugerpreise für tierische Produkte aus konventioneller Landwirtschaft dreimal so teuer sein (196 Prozent Aufschlag auf die Erzeugerpreise). Für biologisch-tierische Produkte errechnet die Studie lediglich einen Mehrpreis von 82 Prozent. Den geringsten Preisaufschlag ermittelt die Studie für Lebensmittel pflanzlichen Ursprungs, wobei es auch hier einen deutlichen Unterschied zwischen konventionellen und biologischen Produkten gibt: Werden die Umweltfolgekosten berücksichtigt, müssten die Erzeugerpreise konventionell-pflanzlicher Produkte 28 Prozent, biologisch-pflanzlicher Produkte hingegen nur sechs Prozent teurer sein.
Damit offenbart die Studie eine erhebliche Fehlbepreisung, die zu einer Marktverzerrung zu Ungunsten des Ökolandbaus führt, erklärt Niels Kohlschütter, Geschäftsführer der Schweisfurth Stiftung: „Würden die Kosten der ökologischen Schäden der Lebensmittelproduktion eingepreist werden, würden sich die Preise für Bio-Lebensmittel kaum noch von denen für konventionell erzeugte unterscheiden.“
Verbraucher, Politik oder Erzeuger – wer steht in der Verantwortung?
Doch wer soll für die Preisdifferenz, die zwischen den derzeitigen Erzeugerpreisen und den wahren Kosten liegt, aufkommen bzw. wie kann es gelingen, dass die Umweltfolgekosten zukünftig in den Preisen berücksichtigt werden? Eine Abwälzung der Preisaufschläge auf die Verbraucher lehnt Jan Bock, Geschäftsleiter Einkauf bei Lidl Deutschland, vor allem im Hinblick auf die hohe Preissensibilität der Konsumenten ab. Zudem gewährleistet eine Erhöhung der Preise für den Endverbraucher nicht, dass sich gleichzeitig die Erzeugerpreise entsprechend verbessern. Auch Dr. Anton Hofreiter Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag von Bündnis 90 / Die Grünen, sieht vorrangig nicht die Verbraucher in der Pflicht, sondern vielmehr die Politik. Seiner Meinung nach ist der größte Hebel eine an ökologischen Kriterien ausgerichtet Agrarpolitik. Daneben sollte der Verbraucher transparent und umfassend über die wahren Kosten informiert werden. Eine Möglichkeit dies in der Praxis umzusetzen sieht Kohlschütter im Wesentlichen in folgenden Maßnahmen: „Wir brauchen Transparenz über die wahren Kosten, die bei der Lebensmittelproduktion für die Allgemeinheit entstehen – zum Beispiel in Form eines zweiten Preisschildes, dass die Preise inklusive der Umweltfolgekosten zeigt. Außerdem müssen wir die Landwirte dabei unterstützen, alle Preise der Erzeugung zu erfassen, um so die Kostentransparenz zu erhöhen.“ Dr. Tobias Gaugler, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Uni Augsburg und Leiter der Studie, sieht darin vor allem die Möglichkeit die Verbraucher hinsichtlich der Problematik der wahren Kosten zu sensibilisieren. Diesen weist er nämlich durchaus Verantwortung zu: Denn um die Umlegung der wahren Kosten auf nächste Generationen zu vermeiden, muss die Bereitschaft bestehen höhere Preise zu zahlen. Zusätzlich ist es seiner Meinung nach notwendig viel früher in die Nahrungsmittelkette einzugreifen und mit geeigneten Maßnahmen, wie zum Beispiel einem restriktiveren Umgang mit Pestiziden, die Umweltfolgekosten zu minimieren.
Die Diskussion zeigte, wie komplex die Einpreisung der wahren Kosten ist und dass es keine einfache Lösung dafür gibt. Einig waren sich die Diskutanten jedoch in einem Punkt: Es besteht dringender Handlungsbedarf und die Berechnung der wahren Kosten ist immerhin ein erster notwendiger Schritt in die richtige Richtung.
Kosten, die keiner kennt: „How much is the dish – was kosten uns Lebensmittel wirklich?“ Studie der Universität Augsburg gibt Aufschluss
Pressemitteilung
Ladenpreis – wahrer Preis? Wissenschaftler der Universität Augsburg präsentierten heute auf einer Pressekonferenz in München die Ergebnisse der Studie „How much is the dish – was kosten uns Lebensmittel wirklich?“. Die Studie, die die Tollwood GmbH für Kultur- und Umweltaktivitäten gemeinsam mit der Schweisfurth Stiftung in Auftrag gab, evaluiert verursachergerecht externe Kosten der deutschen Landwirtschaft. Das bedeutet: Sie entlarvt die „versteckten Kosten“, die durch drei maßgebliche Umweltbelastungen – Stickstoff, Treibhausgas-Emissionen und Energieverbrauch – bei der Produktion von Lebensmitteln entstehen, derzeit aber nicht in die Marktpreise für Lebensmittel einbezogen werden. Die Studie offenbart eine erhebliche Fehlbepreisung und damit Marktverzerrung durch die Preisdifferenz, die zwischen den aktuellen Erzeugerpreisen und den wahren Kosten liegt: Die höchsten externen Folgekosten und damit größten Fehlbepreisungen gehen mit der Produktion konventionell hergestellter Produkte tierischen Ursprungs einher: Diese müssten auf Erzeugerebene dreimal so teuer sein, als derzeit bepreist (196 % Aufschlag auf die Erzeugerpreise). Die zweithöchsten Aufschläge müssten für konventionell hergestellte Milchprodukte (96 %) und die niedrigsten für Bio-Lebensmittel pflanzlichen Ursprungs (6 %) erfolgen.
Bei tierischen Produkten ist die Höhe der externen Kosten und Preisaufschläge insbesondere durch die energieintensive Aufzucht der Nutztiere zu erklären. Dazu zählen Futtermittelanbau, Beheizung und Belüftung der Ställe sowie der Metabolismus der Tiere. Diese Faktoren führen unter anderem zu einer bedeutend höheren Austragung von reaktivem Stickstoff und Treibhausgasen sowie einem höheren Energiebedarf als bei pflanzlichen Produkten. Demnach ist der größte Anteil der Preisaufschläge jeweils auf den Treiber Stickstoff zurückzuführen, gefolgt von Treibhausgasen und Energie.
Beispiel Milchprodukte: Der wahre Preis
Der Ladenpreis konventioneller Milcherzeugnisse müsste etwa 30 % teurer sein, der von biologischen vergleichsweise nur etwa 10 %. Denn nicht einberechnet im aktuellen Preis sind der Ausstoß von Treibhaus-Emissionen, der Energieverbrauch und der Einsatz von Stickstoffdünger.
Im Vergleich konventioneller mit ökologischen Produktionspraktiken führen vor allem der Verzicht auf mineralischen Stickstoffdünger beim Pflanzenanbau sowie ein geringerer Einsatz von industriell produziertem Kraftfutter bei der Nutztierhaltung in allen untersuchten Lebensmittelkategorien zu geringeren externen Kosten und Preisaufschlägen für ökologische Produkte.
Dr. Tobias Gaugler von der Universität Augsburg fasst zusammen: „Für viele negative Klima-, Umwelt- und Gesundheitsfolgen, die sich aus der Produktion von Lebensmitteln ergeben, kommen aktuell weder die Landwirtschaft noch die Konsumenten auf. Die hiermit verbundene Preis- und Marktverzerrung stellt – ökonomisch gesprochen – eine Form von Marktversagen dar, der es mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu begegnen gilt. Ausgehend von unseren Ergebnissen und dem ‚polluter pays principle‘ der UN folgend müssten insbesondere Produkte aus konventioneller Nutztierhaltung deutlich mehr kosten, also dies aktuell in Deutschland der Fall ist.“
Die Studie leistet einen Beitrag zur Kostenwahrheit und ist bislang die erste Studie, die für Deutschland diese Umweltbelastungen errechnet hat. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die tatsächliche Preisdifferenz erheblich größer ist. Denn die Datenlage zu gravierenden weiteren Umweltfolgen, wie beispielsweise den gesellschaftlich-sozialen Auswirkungen von Antibiotikaresistenzen oder den ökologischen Auswirkungen durch den Einsatz von Pestiziden, ist so unzureichend, dass keine Aussagen in der Studie darüber getroffen werden konnten. Tomas Brückmann, Pestizid-Experte der Grünen Liga dazu: „Die gesellschaftlichen Folgekosten durch den immensen Einsatz von Pestiziden sind komplex und sicher hoch. Hier besteht Forschungsbedarf, um diese Zahlen den gesellschaftlichen Entscheidungsträgern alsbald zur Verfügung zu stellen.“
Dr. Niels Kohlschütter, Geschäftsführer der Schweisfurth Stiftung, kommentiert die Studie: „Die Preise sagen uns nicht die Wahrheit. Ökologische und soziale Kosten zahlt die Gemeinschaft und nicht der Konsument. Um Anreize für eine zukunftsfähige Landwirtschaft und nachhaltigen Konsum gestalten zu können, die auf dem Respekt vor dem Lebendigen beruhen, brauchen wir die Transparenz über die wahren Kosten, die bei der Erzeugung für die Allgemeinheit entstehen. Für ein zweites Preisschild am Produkt benötigen wir die Wissenschaft, die ermittelt, was es wirklich kosten müsste. Dafür setzt sich die Schweisfurth Stiftung ein.“
Stephanie Weigel, Bereichsleitung Mensch und Umwelt der Tollwood GmbH, ergänzt: „Die Politik muss umgehend Maßnahmen ergreifen und diese extreme Preis- und Marktverzerrung abstellen, die vor allem die Bio-Lebensmittel am Markt benachteiligt. Es kann nicht angehen, dass die Kosten für ökologische Schäden bei der Lebensmittelproduktion nicht eingepreist sind und stattdessen von der Allgemeinheit bezahlt werden müssen. So werden die Verbraucher an der Nase herumgeführt. Wenn die Lebensmittel im Supermarkt mit dem wahren Preis ausgezeichnet wären, würden viel mehr Menschen zu Bio-Produkten greifen, die dann kaum mehr teurer wären als konventionell erzeugte.“
Bereits 2016 hatte die interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Märkte für Menschen“ der Universität Augsburg im Auftrag des von Tollwood initiierten Aktionsbündnisses „Artgerechtes München“ eine Studie erstellt, die die Folgekosten aufgrund von Antibiotikaresistenzen und Nitrat-/Stickstoffbelastung berechnet hatte.