Elternzeit für Kühe!
Die Schweisfurth Stiftung trägt die kuhgebundene Kälberaufzucht in der Milchviehhaltung in die Breite
Interessierte Milchbäuerinnen und -Bauern aus ganz Deutschland konnten im September die artgerechte Aufzucht von Kälbern in Hessen, Brandenburg und Schleswig-Holstein hautnah miterleben. Die Schweisfurth Stiftung organisierte mit Partnern drei Praxis-Dialoge mit Hofbesichtigungen auf Mitgliedsbetrieben der neu gegründeten „Interessensgemeinschaft kuhgebundene Kälberaufzucht“.
Kuhgebundene Kälberaufzucht in die Breite bringen
In einer Woche drei Praxis-Dialoge auf drei Bio-Milchbetrieben, die alle ihre Kälber kuhgebunden aufziehen: Mit diesem Angebot für biologisch sowie konventionell wirtschaftende Milchbäuerinnen und -Bauern hat die Schweisfurth Stiftung einen nächsten Schritt unternommen, um die kuhgebundene Kälberaufzucht in der Milchviehhaltung zu verankern. Eine solche ist leider nicht selbstverständlich: Heutzutage werden die allermeisten Kälber – auch Bio-Kälber – aus wirtschaftlichen Gründen getrennt von ihren Müttern aufgezogen. Das hat vielfältige negative Auswirkungen auf Kuh und Kalb. Dass es auch anders geht, zeigt die kuhgebundenen Kälberaufzucht, die die Schweisfurth Stiftung unterstützt: Hier bleiben Mutter und Kalb monatelang zusammen – und die Milch, die das Kalb übrig lässt, wird abgemolken.
Mindestens 90 Tage sind Kuh und Kalb beieinander
Die drei Hofbesichtigungen im September 2021 fanden auf Mitgliedsbetrieben der in diesem Jahr gegründeten Interessengemeinschaft kuhgebundene Kälberaufzucht statt. Die Hofbesichtigungen waren eingebunden in sogenannte Praxis-Dialoge, bei denen sich landwirtschaftliche Praxis, Verarbeitung und Handel sowie Forschung zu spezifischen Fragen austauschen. Zum Beispiel zu Möglichkeiten der artgerechten Trennung, wenn das Kalb nicht mehr an der Kuh saugt. Alle drei Betriebe sind Bio-Milchviehbetriebe, die die Kälber mindestens 90 Tage lang gemeinsam an der Seite ihrer Mütter oder Ammenkühen aufziehen. In allen Betrieben dürfen die Tiere im Sommer auf die Weide. Den Auftakt der Besichtigungen machte das Hofgut Oberfeld (https://www.landwirtschaft-oberfeld.de/). Das Gut bewirtschaftet mehr als 160 Hektar im Osten von Darmstadt und hält ca. 40 Milchkühe plus Nachzucht. Neben der kuhgebundenen Aufzucht und der Heumilcherzeugung ist eine Besonderheit die Betriebsform als Bürger-Aktiengesellschaft mit 176 Aktionär:innen. Diese Gesellschaftsform hilft, alle Milch- und Fleischerzeugnisse über den Hofladen und das Hof-Café zu vermarkten.
Auf der Weide melken und stressfrei schlachten
Die zweite Station führte nach Brandenburg auf den Hof Stolze Kuh, wo ca. 130 Rinder auf 220 Hektar Fläche gehalten werden. Die Kühe und die gesamte Nachzucht weiden dort auch auf Naturschutzflächen im Unteren Odertal. Die Kühe werden in einem mobilen Weidemelkstand gemolken. Früher war der Weidemelkstand in der Gegend durchaus üblich, heute ist dies jedoch eine große Seltenheit. Alle Tiere bleiben zudem nach der kuhgebundenen Aufzucht auf dem Betrieb, bis sie nach einer stressarmen Schlachtung auf der Weide direkt vermarktet werden. Dadurch gibt es auch immer eine Herde mit Bullen, die gemeinsam friedlich grasen. Wie das möglich ist, kann man bei der Betriebsleiterin Anja Hradetzky in Kursen über Low Stress Stockmanship lernen.
Eine weitere Hofbesichtigung fand bei Hans Möller in Lentföhrden (Schleswig-Holstein) statt. Er ist einer der Gründer von De Öko-Melkburen, die im Jahr 2017 die „Elternzeit für Kühe“ einführte. Der Betrieb umfasst ca. 100 Hektar und hält ca. 30 Milchkühe. Auch bei ihm dürfen die Rinder den Sommer über auf der Weide bleiben und werden im Weidemelkstand gemolken.
Schweisfurth Stiftung als Brückenbauerin
Unter den Teilnehmer:innen der Praxis-Dialoge waren bereits praktizierende Betriebe ebenso wie Betriebe, die sich für diese Aufzuchtmethode interessieren sowie Personen aus Tierschutz und Handel. Auch der Betriebsleiter eines großen konventionellen Betriebs nahm interessiert teil. Saro Ratter, Projektmanager Tierwohl bei der Schweisfurth Stiftung: „Uns ist es wichtig, den Erfahrungsaustausch zwischen Landwirtinnen und Landwirten zu ermöglichen. Nur so kann Vertrauen aufgebaut werden, dass eine kuhgebundene Kälberaufzucht praktikabel ist und wirtschaftlich funktionieren kann. Gleichzeitig ist es wichtig, Brücken zwischen der Landwirtschaft und der Wissenschaft, dem Handel und dem Tierschutz zu bauen.“ So konnte als Kooperationspartner für die Hofbesichtigungen neben der Interessensgemeinschaft kuhgebundene Kälberhaltung auch das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) gewonnen werden. Wir hoffen, dass sich diese Zusammenarbeit auch im nächsten Jahr fortsetzen wird.
Mehr zur Arbeit der Schweisfurth Stiftung zum Thema kuhgebundene Kälberaufzucht finden Sie hier. Die Veranstaltungen wurden durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) finanziell gefördert.
Stimmen der Teilnehmer:innen
Ich habe am Praxis-Dialog teilgenommen,…
…weil ich denke, dass es in der Zukunft ein immer wichtigeres Thema werden wird und hier Erfahrungswerte sammeln wollte.
…weil ich mir mehr Inspirationen für den Bau des neuen Kuhstalls holen wollte. Ich konnte sehr viele Infos mitnehmen, mich mit Kolleginnen und Kollegen austauschen. Es hat mir sehr weitergeholfen in meiner Planung.
…weil wir es bei uns schon praktizieren und viele schöne Momente erleben, aber auch noch viele Fragestellungen auftauchen. Ich nehme viele Inspirationen und neue Gedanken mit um die kuhgebundene Aufzucht auf unserem Betrieb zu verbessern.
…aus persönlichem Interesse. Den größten Vorteil sehe ich in der wesensgerechten Haltung der Tiere wie sie sein sollte. Die größte Herausforderung sehe ich darin die Masse der Betriebe in die Lage zu versetzen diese Methode auch ökonomisch umsetzen zu können.