Divinus halitus terrae – auf der EXPO 2015 in Mailand
Eindrücke und Gedanken von Prof. Franz-Theo Gottwald
Divinus halitus terrae – der göttliche Atem der Erde empfängt die Besucher der EXPO 2015 in Mailand. In Worten auf der eindrucksvollen Ausstellungshalle der UN. Doch auch die Präsenz der großen Sponsoren aus Lebensmittelindustrie und Energiewirtschaft empfängt einen – noch vor dem Passieren der Besucherkontrolle und auf dem gesamten Gelände. Divinus halitus terrae, dieses Leitmotiv einer lebendigen Erde habe ich als ein ermutigendes Zeichen erlebt für das große Menschheitsprojekt des 21. Jahrhunderts: Nachhaltiges Wirtschaften. Die Besucher werden im Pavillon Zero – Zero als ein Hinweis auf „Null Hunger“ als Schwerpunktthema der UN – gleich auf eine der wichtigsten Ressourcen hierfür hingewiesen: das über die Jahrtausende gesammelte Wissen zur Ernährungssicherung. Imposant dargestellt mit einem 24 Meter langen und 50 Meter hohen „Archiv des Wissens“. Eine künstlerisch und inhaltlich hervorragend inszenierte Präsentation über Nahrung als kulturbildende Kraft.
Slowfood als Schlusspunkt der Ausstellung
Auch wenn viele engagierte Slowfood Mitglieder – wie ich höre – enttäuscht sind über die „schlechte Platzierung“ der exzellenten Slowfood-Präsentation am Ende des 1,5 km langen Ausstellungsareals – so habe ich gerade diesen Platzierung als zukunftsweisend wahrgenommen. Nach einem längeren Weg, der bei der UN beginnt, kommen die Besucher über viele verschiedene Optionen (147 ausstellende Teilnehmer) wie die Menschheit in Zukunft ernährt werden kann, am Ende zu Slowfood – und hier auf den Geschmack der Biodiversität, der Regionalität, der Bäuerlichkeit und der Handwerkskunst.
Unterschiedlichste Blickwinkel auf die Zukunft der Ernährung
Die Länder-Präsentationen in Mailand sind so vielfältig wie die Esskulturen auf dem Planet Erde. Mit dem übergeordneten Expo-Thema „Feeding the planet. Energy for life“ setzen sie sich mal mehr, mal weniger auseinander. Die folgenden vier Beispiele zeigen, wie unterschiedlich die Perspektiven auf die Zukunft der Ernährung sein können.
Niederlande: Kann die Technik alles richten?
Die Niederlande legen den Fokus zu 100 % auf industrielle, technische Lösungen. Gentechnik, „Fünf-Sterne-Hotels für Hühner“, „Schmerzfreie Gänseleber“ gehören unter anderem dazu. Eine Präsentation, die die Befürworter einer sozialen und ökologischen Ernährungszukunft konfrontiert und zu Widerspruch reizt. Ob wohl die knietief im Wasser stehenden Kühe auf dem Ausstellungsareal der Holländer eine metaphorische Bedeutung haben?
Ökolandbau auf der Expo: Ein Nischenthema
Apropos Bio und Ökolandbau: Bei meinem dreitägigen Expo-Besuch habe ich keine explizite Präsentation hierzu entdeckt. Dass Sepp Braun aus dem Raum München zu den sechs Expo-Botschaftern im deutschen Pavillon gehört, hat mich gefreut. Gleichzeitig hat es mich auch traurig gestimmt, dass dieser Ökopionier-Landwirt, „nur“ als „Bodentüftler“ vorgestellt wird, ohne dabei Bio auch nur zu erwähnen.
Deutschland: Vom Urban Gardening zum virtuellen Supermarkt
Im deutschen Pavillon werden die Zusammenhänge zwischen Boden, Wasser, Klima und der Ernährung verdeutlicht. Auch der Aufruf, bewusst zu konsumieren, fehlt nicht.
Mein persönliches Resümee: Deutschland fordert die Besucher auf, aktiv zu werden, sei es beim Urban Gardening, sei es bei sozialer und klimagerechter Erzeugung. Wie das alles mit Milchkuh-Optimierung (ein Exponat der Universität Bonn) und virtuellem Supermarkt zusammen gehen soll, ist offen geblieben.
Frankreich: Wo Nahrungsaufnahme zelebriert wird
Wie könnte es auch anders sein: Frankreich nimmt die kulinarische, gastronomische Seite der Ernährung in den Blick, ebenso wie das Zelebrieren von Essen und Trinken. Selbstbewusst inszeniert in einem architektonisch gelungenen Pavillon in Form einer offenen Holzkonstruktion.
Österreich: Luft als Lebensmittel
Das am Eingang der Expo von der UN inszenierte Motto „Divinus halitus terrae“ hat Österreich atem-bar und konsequent umgesetzt. Die Besucher werden eingeladen, durch eine original österreichische Bergwelt zu spazieren und tief durchzuatmen. Ganz nebenbei erfahren sie dabei etwas über die Bedeutung guter Luft als Lebensmittel, als Gemeingut, als Klimamacher und vieles mehr aus dem zukunftsrelevanten Wissen um die Pflege von Kulturlandschaften.
Mein Ausblick
Mein Expo-Besuch war im übertragenen Sinne ein Moment des Luft- und Inspiration-Holens sowie des Beobachtens, wie in den letzten Jahrzehnten ein Bewusstseinswandel im Hinblick auf Landwirtschaft, Ernährungsgewohnheiten, Energieerzeugung und -verbrauch weltweit angestoßen wurde. Auch und gerade von der vielgestaltigen Umweltbewegung.
Gleichzeitig waren meine Expo-Tage heiße Tage. Buchstäblich, denn es hatte gefühlte 50 Grad unter den Zeltplanen der Expo-Plazza. Und im übertragenen Sinn: Bis wir bei den Idealen von Slowfood ankommen werden, ist es noch ein langer, schweißtreibender Weg. Glauben Sie mir – es lohnt sich, ihn zu gehen.
Ihr Franz-Theo Gottwald